Europas Gewerkschaften sind besorgt: Mit ihrer Straßeninitiative, die EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc Ende Mai vorlegen will, könnten sich die Arbeitsbedingungen für Fahrer verschlechtern, warnt die Europäische Transportarbeiter Föderation (ETF). Sie ist die Brüsseler Vertretung von mehr als 200 Gewerkschaften aus den Mitgliedstaaten mit über zwei Millionen Mitgliedern. Und denen drohten aufgrund der Pläne aus Bulcs Behörde, die ETF eingesehen haben will, längere Arbeits- und weniger Ruhezeiten. „Fahrer können nicht länger arbeiten und weniger ruhen, ohne für ihre eigene Sicherheit, die Sicherheit ihrer Passagiere und die anderer Straßennutzer zu einer echten Gefahr zu werden“, warnte der Verband zuletzt in einer Mitteilung.
Im Zentrum des Streits steht die Frage, ob es Fahrern künftig verboten werden kann, ihre regulären wöchentlichen Ruhezeiten in der Fahrerkabine zu verbringen. Frankreich, Belgien und die Niederlande haben bereits entsprechende Verbote erlassen, in Deutschland wird ein solches in Kürze in Kraft treten. Strafbar wäre demnach, wenn die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit „im Fahrzeug oder an einem Ort ohne geeignete Schlafmöglichkeit verbracht wird“. Die Frage, ob solche Verbote mit der einschlägigen EU-Verordnung vereinbar sind, muss derzeit der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entscheiden. Der Generalanwalt hat sich dort allerdings bereits dafür ausgesprochen, die Klage eines belgischen Unternehmens gegen ein aufgrund dieses Verbots erlassenes Bußgeld zurückzuweisen. Und in den meisten Fällen folgt der Gerichtshof der Empfehlung seines Generalanwaltes, der in der europäischen Rechtsprechung die Rolle eines Gutachters einnimmt.
Verkehrskommissarin Bulc findet sich damit immer stärker in der Zange zwischen zwei Blöcken von Mitgliedstaaten aus West- und Osteuropa. Letztere pochen auf Dienstleistungsfreiheit auf der Grundlage ihrer nationalen Mindestlöhne. Im Westen sieht man genau darin die Grundlage für „Sozialdumping“, das es Fahrern ermöglicht, über Wochen und Monate auf den Straßen im Westen unterwegs zu sein. Die Verbote, die Ruhezeiten im Fahrzeug zu verbringen, sind insofern auch als Maßnahmen zu sehen, mit denen solche Dauerfahrten im Ausland wenn nicht unterbunden, so zumindest doch erschwert werden sollen. Stimmen die Informationen von ETF, dann werden in Bulcs Behörde derzeit aber Optionen diskutiert, mit denen diese Zielsetzung durchkreuzt werden könnte, auch wenn die Verbote selbst den Test vor den EU-Richtern bestehen sollten.
Laut ETF plant die EU-Kommission, Änderungen an der vorgeschriebenen Reihenfolge der wöchentlichen Arbeits- und Ruhezeiten vorzunehmen. Demnach könnte ein Fahrer drei Wochen mit verkürzten Wochenruhezeiten aneinanderreihen, ehe eine dann verlängerte Pause eingelegt werden muss. Diese verkürzten Ruhezeiten von nur 24 Stunden fallen nicht unter die in den Mitgliedstaaten erlassenen Verbote der Übernachtung im Fahrzeug. Fahrer könnten somit weiterhin drei- bis vierwöchige Touren fahren, während denen sie ihr Fahrzeug als billige Übernachtungsmöglichkeit nutzen können. Nutznießer davon wären nicht nur Spediteure aus Osteuropa: Auch die zunehmende Zahl ausländischer Fahrer, die für westliche Unternehmen fahren, könnte so die Kosten für Hotelübernachtungen einsparen.
Das alles seien Versuche, die Qualität des Arbeitsplatzes der Fahrer, die Sicherheit auf den Straßen und die Sicherheit der Passagiere zu schwächen, heißt es bei den Gewerkschaften. Dort sieht man die Pläne als einen „Weg zur Legalisierung von sozialem Dumping“, durch den der Sektor vor allem für junge Leute noch weniger attraktiv werde. „Wir haben uns alle Mühe gegeben und der Kommission in zwei Paketen die erbetenen Vorschläge unterbreitet: 2015 zu Gesetzesdurchsetzung und 2016 zu Kabotage und Berufszugang. Keiner dieser Vorschläge ist von der Kommission berücksichtigt worden“, stellte der bei ETF für den Straßentransport zuständige Präsident Roberto Parrillo bitter fest. Mit europaweiten Demonstrationen und Aktionswochen wollen die Gewerkschaften deshalb versuchen, noch Einfluss auf die Straßeninitiative zu nehmen.
Von der Arbeitgeberseite wird den Gewerkschaften deshalb eine „Taktik des Angstmachens im Sachen Straßensicherheit“ vorgeworfen. Diese Taktik sein ein „Missbrauch des Gesetzgebungsprozesses“, stellte Matthias Maedge von der Internationalen Straßentransportunion (IRU) fest. Neue Regeln dürften Europas Wirtschaft nicht den Lebenssaft abwürgen: „Wir müssen einen Satz von klaren Regeln und gemeinsamer Durchsetzung haben, die in der gesamten EU gelten, um einen fairen Wettbewerb sicherzustellen und die Effizienz der Operationen zum Nutzen aller Europäer zu maximieren“, ließ Maedge wissen. Sein Verband plädiert für eine Vereinfachung und bessere Durchsetzung der bestehenden Regeln statt des Hinzufügens von neuen Vorschriften. Ohne Klarheit und fairen Wettbewerb werde der Straßentransport weniger gut in der Lage sein, Arbeitsplätze zu schaffen und die Industrie und das Wirtschaftswachstum zu unterstützen.