Arbeitshelden
- Richard Kienberger
- 19. März
- 4 Min. Lesezeit
Ein Supertruck und sein geschickter Meister worken in finnischen Wäldern.

Es ist ein zauberhafter Montagmorgen, der eine lange Reihe von grauen Nebeltagen unterbricht. Am Rautatie Lastaus Terminaali, dem Güterverladeplatz der Eisenbahn im südfinnischen Riihimäki, kämpft sich die Sonne allmählich durch die letzten Schleier und taucht die gigantischen Holzstapel und die Eisenbahnwaggons in ein warmes Licht. Eigentlich sollte die Idylle von einer dicken weißen Schneedecke komplettiert werden, doch von „weißer Pracht“ ist kaum etwas zu sehen. Am Boden zeugen nur einige schmutzige Schneereste davon, dass wir uns theoretisch im Winter befinden. Was das inzwischen im Süden Finnlands immer öfter bedeutet, ist schnell erkennbar: Das Gelände zwischen den Gleisen bedeckt eine Eisschicht, deren Oberfläche von Tauwasser bedeckt ist. Kaum Schnee und Temperaturen um den Nullpunkt: Ein richtiger nordeuropäischer Winter ist das jedenfalls nicht.

Kurz vor elf Uhr rollt Jesse Valuvuori mit seinem Timbertruck auf den Verladebahnhof und parkt neben einem leeren Eisenbahnwaggon. Wie ein Spotlicht beleuchtet die Sonne die Front des schmucken Scania, den sich sein Chef Antti Nousiainen zum 70-jährigen Bestehen seines Transportunternehmens gegönnt hat. Zwölf Lkw hat Nousiainen im Einsatz, die Firma wurde 1954 von seinem Großvater gegründet. Das Dutzend Kombinationen ist identisch konfiguriert, vierachsige Zugfahrzeuge schleppen fünfachsige Trailer, womit das gängige Gesamtgewicht von 76 Tonnen erreicht wird. Die ganz großen XXL-Kombinationen mit bis zu 100 Tonnen GG pendeln nur zwischen Lagerplätzen, die auf asphaltierten Straßen erreichbar sind. Für den Abtransport der Stämme an den Einschlagplätzen im Wald sind sie nicht geeignet. In Holzpaketen bedeuten 76 Tonnen: Ein Paket mit Standard-Länge wird auf den Truck geladen, zwei auf den Anhänger.

Ein Airbrusher hat den Geburtstagsscania außen mit grafischen Elementen und dem Schriftzug 70 Years Anniversary verziert. Während dieses Dekor fast dezent wirkt, hat Firmenchef Nousiainen das Innere der Kabine von der Ex-Showtruck-Größe Juha Ristimaa (der sich inzwischen unter dem Namen Ristimaa Customs auch als Ausbauer betätigt) zu einem Prachtbau verschönern lassen. Das Fahrerhaus wurde mit rotem Dekormaterial gestaltet, schwarze Applikationen und schwarze Lautsprecherboxen sorgen für geschmackvolle Akzente. Viele der Timbertrucks fahren im Mehrschichtbetrieb, doch der 70-Jahre-Scania bildet eine Ausnahme: „Ich bin froh, dass ich mich allein um das Auto kümmern darf“, sagt Jesse Valuvuori und turnt hoch auf den Sitz des Ladekrans. Routiniert packt er das Holz vom Lkw auf den Eisenbahnwaggon. Meistens passt die Größe der Pakete, so dass ein Stapel auf dem Straßenfahrzeug auch einen Stapel auf dem Waggon ergibt. Zwischendurch wird das Fahrzeug umgesetzt, nach nicht einmal einer halben Stunde ist alles umgeladen und Jesse klettert wieder in sein ferrarirotes Wohnzimmer. Auf dem Computer ist längst der nächste Auftrag abrufbar, wie das Gros seiner Touren ist der Ladeort nicht allzu weit vom Güterbahnhof in Riihimäki entfernt.

Land im Wandel
In der Mitte Europas gelten die Länder im Norden seit jeher als exotische Region, in der die Menschen etwas weniger hektisch und manchmal abseits des Mainstreams leben. Vor einigen Jahren – wer erinnert sich noch daran; es scheint eine Ewigkeit her zu sein – machte das finnische Unternehmen Nokia Furore, als es den Weltmarkt für die gerade beginnende Mobiltelefonwelle aufmischte. Wer nutzt heute noch ein Nokia-Telefon? Dem Siegeszug von Apple & Co. hatte Nokia nichts entgegenzusetzen und um Finnland wurde es wieder ebenso still wie in den finnischen Wäldern.
Doch in den letzten Jahren hat das Land einen tiefgreifenden Wandel durchgemacht, was am kriegslüsternen Nachbarn im Osten liegt. Nach den beiden Kriegen gegen Russland (beziehungsweise die damalige Sowjetunion) in den vierziger Jahren versuchte man, sich mit der Großmacht zu arrangieren. Doch mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine endete dieses Arrangement und die schon sprichwörtliche Neutralität jäh und unerwartet. Was neben politischen und psychologischen Auswirkungen auch wirtschaftliche Folgen hatte.
Finnlands Wohlstand beruht nicht zuletzt auf der holzverarbeitenden Industrie, die in dem nordeuropäischen Land einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor darstellt. Knapp drei Viertel des Landes sind von Wald bedeckt. Handel (und Export) mit Holzprodukten (dazu gehört auch Papier) sind eine enorm wichtige Branche. In der Vergangenheit wurden bis zu 15 Prozent des in Finnland verarbeiteten Holzes importiert (mit Zug und Lkw), nahezu ausschließlich aus Russland. Die Möglichkeit, den kostbaren Rohstoff aus dem Nachbarland zu beziehen, endete 2022 fast von einem Tag auf den anderen.
Die tatsächlichen Folgen sind aber schwer abzuschätzen. Unternehmer, die wie Antti Nousiainen mit ihren Lkw-Flotten vom Holztransport leben, verneinen die Frage, ob seitdem mehr inländisches Holz geerntet wird und damit ein höheres Transportaufkommen zu verzeichnen ist. Was auch daran liegen könnte, dass internationale Papier- und Holzkonzerne etliche Werke in Finnland nach einer lang andauernden Streikwelle schlossen. Zudem wird der Markt für Printprodukte und damit auch für Papier immer kleiner.
Aber obwohl den Finnen mit ihrer rund 1345 Kilometer langen Grenze zu Russland deutlicher als vielen Menschen hierzulande bewusst ist, was ihrem östlichen Nachbarn zuzutrauen ist, scheinen sie ihren Optimismus nicht verloren zu haben: Im weltweiten Ranking der „glücklichsten Nationen“ nahmen die Saunafreunde auch im vergangenen Jahr einen Spitzenplatz ein.
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