Die Gefahren des "No-Deal"
Am Ende der ersten Verhandlungsrunde Anfang März zwischen der EU und Großbritannien waren sich beide Seiten nur darüber einig, worüber sie sich nicht einigen sind: Sollen die künftigen Beziehungen zwischen beiden Seiten in einem einzigen umfassenden Freihandelsabkommen oder in einer Vielzahl von Einzelverträgen geregelt werden? Und soll dabei das Recht der EU, das bisher ja auch in Großbritannien gilt, der Ausgangspunkt für die Gespräche sein? Die Differenzen über diese Grundlagen der Verhandlungen scheinen unüberbrückbar. Damit droht zum Jahresende einmal mehr ein „No-Deal“-Szenario, ein vertragsloser Zustand, in dem die Handelsbeziehungen auf der Grundlage der Regeln der Welthandelsorganisation WTO abgewickelt werden müssen.
Nicht zuletzt für den Transportsektor steht dabei viel auf dem Spiel. Nur mit einem Freihandelsabkommen ohne Zölle und Quoten wäre der Handel zwischen der Insel und dem Kontinent in der bisherigen Form reibungslos abzuwickeln. Dazu ist ein Vertrag mit spezifischen Vereinbarungen für den Verkehr dringend nötig. Ohne ihn müsste der Straßengütertransport zwischen der britischen Insel und dem Kontinent vermutlich auf der Grundlage von internationalen ECMT-Lizenzen erfolgen. Deren Zahl ist allerdings begrenzt und würde nicht ausreichen, um den europäisch-britischen Handel in seinem derzeitigen Umfang aufrecht zu erhalten. Auf dem Spiel steht darüber hinaus der Transits für Güter, die aus Drittländern nach Großbritannien geliefert werden.
Auch Fragen des Markzugangs müssen erst noch vertraglich geklärt werden: Sollen britischen Transporteuren Kabotagefahrten in der EU – und im Gegenzug EU-Fahrern solche in Großbritannien – erlaubt werden? Der britische Transportverband FTA hofft da auf eine große Lösung, die seinen Mitgliedern nach dem Vorbild der Schweiz auch grenzüberschreitende Kabotage-Fahrten durch mehrere EU-Länder erlauben würde. Dazu müssten die Briten allerdings, so wie die Schweiz dies tut, die Standards der EU im Hinblick auf soziale und arbeitsrechtliche Standards, aber auch auf Fahrzeugabmessungen und andere technische Vorhaben übernehmen.
Kurz vor dem Beginn der Verhandlungen hat die EU-Kommission da noch ein Signal gesetzt und gegen London ein Verfahren im Zusammenhang mit der Maut eröffnet: In Großbritannien würden bei den Straßennutzungsgebühren ausländische Schwerlasttransporter benachteiligt, die dort geltenden Mautsätze kämen einer Steuer gleich, die nur das Land der Registrierung erheben könne, stellte Brüssel fest. Außerdem würden britische Lkw durch eine Steuerermäßigung zum Ausgleich der Maut-Belastung bevorzugt. Die Kommission drohte London deshalb mit einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, falls die beanstandeten Regeln nicht innerhalb von zwei Monaten geändert werden.
Angesichts des Ende Januar vollzogenen Brexits mag ein solches Verfahren gegen Mautsätze, die bereits seit 2014 gelten, anachronistisch erscheinen. Doch formal ist die EU-Kommission im Recht: Während der noch bis zum Ende diesen Jahres laufenden Übergangsperiode muss sich Großbritannien weiter an europäisches Recht halten. So steht es in dem Austrittsvertrag und auf dessen Einhaltung pocht Brüssel. Zugleich macht sie damit aber auch die Hoffnung der Europäer deutlich, dass sich die Briten auch nach dem Austritt an grundlegende Regeln der EU halten, die einen fairen Wettbewerb zwischen beiden Seiten garantieren.
„Level Playing Field“ (gleiches Spielfeld) heißt das in dem Verhandlungsmandat, das die 27 Mitgliedstaaten der EU-Kommission und deren Chef-Unterhändler Michel Barnier erteilt haben. Gemeint sind damit Garantien, dass die Briten nicht durch Sozial-, Umwelt- oder Steuerdumping einen fairen Wettbewerb im Handel mit der EU unterlaufen. Die Union strebt deshalb ein umfassendes Abkommen an, in dem alle Bereiche der künftigen Handelsbeziehungen gemeinsam geregelt werden. Für staatlich Beihilfen, Arbeits- und Sozialnormen, Umwelt- und Klimaschutzstandards, Wettbewerb und Steuerfragen sollen demnach auch künftig vergleichbare hohe Vorgaben gelten, die sich an den Regelungen der EU orientieren sollen.
Genau das will der britische Premierminister Boris Johnson nicht: britische Gesetze sollten nicht den Regeln der EU angepasst werden, heißt es in dem von seiner Regierung vorgelegten Verhandlungsmandat. Und auf keinen Fall werde man sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes unterwerfen, wie es die EU-Kommission für die Durchsetzung dieser Standards fordert. „Was auch immer passiert, die Regierung wird kein Arrangement aushandeln, in dem das Vereinigte Königreich nicht die Kontrolle über seine eigenen Gesetze und das politische Leben hat“, lautet der zentrale Satz in dem Dokument.
Verbunden haben die Briten das mit einer knallharten Drohung: Falls sich bis Juni kein Abkommen zwischen beiden Seiten abzeichne, werde man sich von den Verhandlungen zurückziehen und sich auf ein Szenario ohne Freihandelsvertrag vorbereiten, heißt es in ihrem Verhandlungsmandat. Eine Verlängerung der bis zum Jahresende laufenden Übergangsperiode, wie sie in dem im letzten Jahr geschlossenen Austrittsvertrag mit der EU vorgesehen ist, hatte London bereits in seinem nationalen Brexit-Gesetz ausgeschlossen.
Erpressen lassen will sich die EU allerdings auch nicht: Brüssel werde ein Freihandelsabkommen nicht um jeden Preis schließen, hatte Barnier, bereits im Februar bei der Vorstellung des EU-Mandats gewarnt. Für den Verkehrssektor heißt es in darin nur, dass ein „angemessenes“ Abkommen angestrebt werde. Was dies genau bedeutet, bleibt zunächst unklar. Wohl auch, weil hier weiterreichendere Auswirkungen drohen: Eine Vorzugsbehandlung für die Briten könnte Ansprüche von anderen Drittstaaten wecken, warnt etwa die Internationale Transportunion IRU. So fordert die Türkei, immerhin ein Beitrittskandidat der EU, seit längerem einen besseren Marktzugang zum Transportsektor der EU. Nach den Regeln der Welthandelsorganisation WTO könnte sie, ebenso wie osteuropäische Staaten darauf bestehen, zumindest die gleichen Vergünstigungen wie der Drittstaat Großbritannien zu erhalten.
EU-Klimagesetz 2021 - das Jahr der Schiene
Die neue EU-Verkehrskommissarin will Zeichen setzen: Das Jahr 2021, so hat Adina Valean jetzt angekündigt, soll zum „Jahr der Schiene“ werden. „Es gibt keinen Zweifel, dass der Bahntransport riesige Fortschritte in den Bereichen Nachhaltigkeit, Sicherheit und sogar Geschwindigkeit bringen kann, wenn er erst einmal entsprechend den Prinzipien des 21ten Jahrhunderts organisiert und betrieben wird“, ließ die Kommissarin wissen. Das kommende Jahr solle mit einer Serie von Veranstaltungen, Kampagnen und Initiativen die Schiene als nachhaltiges, innovatives und sicheres Transportmittel voranbringen.
Valeans Vorschlag ist Teil des Klimagesetzes, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Anfang März im Europaparlament vorgelegt hat. Ziel dieses ehrgeizigen Vorhabens sei es, Europa bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt zu machen, ließ die Präsidentin wissen. Ihre Gesetzesvorlage würde dieses Ziel zu einer rechtsverbindlichen Vorgabe für die Politik der EU machen. „Mit dem Klimagesetz verankern wir unser politisches Engagement nun auch rechtlich und schlagen unwiderruflich den Weg zu einer nachhaltigeren Zukunft ein. Das Klimagesetz ist das Herzstück des Grünen Deals der EU“, sagte sie vor Journalisten.
Für das Transportwesen wird dieser Grüne Deal weitgehende Konsequenzen haben: „Da der Transport für ein Viertel aller Treibhausgas-Emissionen des EU verantwortlich zeichnet, wird er beim Erreichen unserer Ziele eine maßgebliche Rolle spielen müssen“, unterstrich Valean. Ihm sei das Ziel vorgegeben worden, diese Emissionen bis 2050 um 90 Prozent zu reduzieren. Die Kommission arbeite deshalb derzeit an einer Strategie für eine nachhaltige und intelligente Mobilität, die sich mit den Emissionen aller Verkehrsträger befassen solle.
Über die Resultate dieser Arbeit hat die EU-Kommission aber offenbar bereits klare Vorstellungen: „Als Priorität soll ein erheblicher Teil der 75 Prozent aller Inlands-Fracht, die heute über die Straße transportiert wird, auf die Schiene oder Binnenwasserstraßen verlagert werden“, heißt es in ihrem Vorschlag für das Jahr der Schiene. Solche oder ähnliche Ziele hatte die EU in der Vergangenheit immer wieder formuliert, ohne dabei aber wirkliche Fortschritte zu erzielen. Valean will das nun offenbar ändern: „Das Europäische Jahr der Schiene ist keine Zufallsveranstaltung“, ließ sie wissen. „Es komme zum richtigen Zeitpunkt, an dem die EU eine solche Art eines gemeinsamen Vorhabens brauche“.
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