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Corona

In der Krise fand Europa nicht statt


Fast vierzig Kilometer Stau am Grenzübergang in Nickelsdorf, zum Teil mehr als sechzig auf den Autobahnen zwischen Deutschland und Polen – als das Corona-Virus Anfang März die Europäische Union erreichte, waren die Ideen der Europäischen Einigung das erste Opfer: Fast reflexartig griffen die Mitgliedstaaten zu den alten Methoden der Abschottung und Grenzschließung. „Europa war auf die Pandemie nicht vorbereitet“, musste die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, vor dem Europaparlament einräumen. Und sie fügte dem eine formelle Entschuldigung bei Italien hinzu, dem ersten europäischen Land, das von dem Virus getroffen wurde und das vergeblich auf die Solidarität der Partner warten musste. Von der Leyen, die erst kurz vor dem Jahreswechsel das Amt an der Spitze der Brüsseler Exekutive übernommen hat, fällt die Aufgabe zu, eine einheitliche Antwort der Europäer auf die Krise zu organisieren. Zumindest in der Anfangsphase ist ihr dies nicht gelungen: „Als Europa wirklich füreinander da sein musste, haben viele zunächst nur nach sich selbst geschaut“, musste die Präsidentin feststellen. In den Mitgliedstaaten wurden ihre Klagen allerdings nicht gehört: Eine Regierung nach der anderen entschied, die europäischen Verträge und Errungenschaften zu ignorieren. Den Grenzschließungen folgten Ausfuhrverbote für medizinische Schutzkleidung und Beatmungsgeräte. Hilfslieferungen für Italien kamen aus Russland und China, nicht aber von den EU-Partnern. Brüsseler Proteste hiergegen verhallten weitgehend ungehört. Es sei die oberste Priorität für die EU-Kommission, Fracht in Bewegung zu halten, ließ EU-Verkehrskommissarin Adina Valean frühzeitig wissen. Doch auch ihr Vorschlag, auf den wichtigen Routen des Transeuropäischen Verkehrsnetzwerkes (TEN-T) Grenzübergänge mit einer „Grünen Spur“ einzurichten, wurde von den Mitgliedstaaten nur in wenigen Fällen befolgt. Selbst in der Phase des Lock-down in allen EU-Ländern, als Lkw den überwiegenden Teil des grenzüberschreitenden Verkehrs ausmachten, seien lange Wartezeiten für sie die größte Herausforderung geblieben, stellte der Branchenverband Internationale Straßentransportunion IRU fest. Wartezeiten, die, wie Valean unterstrich, nicht nur die Auslieferung essenzieller Produkte verzögerten, sondern die auch unnötigen Stress für Fahrer und andere Arbeiter im Transportsektor und zudem die Gefahr einer weiteren Verbreitung des Virus bedeuteten. Für die nationalen Regierungen hatte die Abschottung an den Grenzen dagegen eindeutigen Vorrang gegenüber den Errungenschaften des EU-Binnenmarktes. Und auch beim Erstellen von Rettungsprogrammen für Wirtschaft und Arbeitsplätze standen nationale Alleingänge im Vordergrund. Den Brüsseler Wettbewerbshütern blieb da nur noch die Aufgabe, Subventionsprogramme, die eigentlich einer langen Prüfung ihrer Vereinbarkeit mit dem EU-Recht bedurft hätten, im Rekordtempo durchzuwinken. In der Öffentlichkeit konnte sich Brüssel damit allerdings kaum als wirksame Kraft bei der Krisenbewältigung profilieren.

Grenzöffnung für Urlauber

In der Diskussion über eine mögliche Grenzöffnung für deutsche Urlauber drängt die EU-Kommission auf ein koordiniertes Vorgehen der Staaten. "Die Reisebeschränkungen sollten als erstes zwischen Gebieten gelockert werden, in denen das Virus vergleichsweise wenig in Umlauf ist", teilte die Kommission mit. "Die Kontrollen an den Binnengrenzen sollten in koordinierter Art und Weise beendet werden, sobald die epidemiologische Situation der angrenzenden Regionen ausreichend konvergiert und die Regeln zur sozialen Distanzierung verbreitet und verantwortungsvoll angewandt werden", betonte die Kommissionssprecherin. Die EU-Seuchenkontrollbehörde ECDC werde in Abstimmung mit den Mitgliedsstaaten eine entsprechende Liste dieser Gebiete führen. Die EU-Kommission werde zudem Vorschläge machen, wie die Verkehrsverbindungen innerhalb Europas "auch mit Blick auf die Planung des Sommerurlaubsverkehrs" wieder aufgenommen werden können. Bei der Rückkehr zur Reisefreiheit sei ein schrittweises Vorgehen erforderlich. EU-Binnenmarktkommissar Breton erwartet, dass die Grenzkontrollen, die in den Schengen-Staaten in der Coronakrise eingeführt wurden, über den Sommer fortgeführt werden. Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) hatte eine bilaterale Vereinbarung mit Deutschland ins Spiel gebracht, um deutschen Urlaubern die Einreise zu ermöglichen. Das Gesundheitsministerium äußerte sich zurückhaltend. "Der Wunsch nach einer Möglichkeit für Tourismus ist nachvollziehbar, allerdings abhängig von der Entwicklung der Corona-Pandemie in Österreich und international", sagte eine Ministeriumssprecherin. Aus Deutschland heißt es, dass die in der Coronakrise verhängte Reisewarnung für Österreich aufrecht bleibe. "Wir haben jetzt keine Veranlassung, die Situation an der österreichischen Grenze zu ändern", sagte ein Sprecher des deutschen Innenministeriums. Europarechtler Walter Obwexer sagte unterdessen, dass eine Grenzöffnung für Touristen "unionsrechtlich nicht nur möglich, sondern sogar geboten" sei. Der Professor für Europarecht an der Universität Innsbruck wies darauf hin, dass die Mitgliedsstaaten die Binnengrenzen im Prinzip offenhalten und auch den freien Personenverkehr gewährleisten müssen. Einreisebarrieren seien zum Schutz der Gesundheit erlaubt. Fallen die Gründe dafür weg, "müssen" die Mitgliedsstaaten die Grenzen wieder öffnen. Dabei müssten alle Staaten gleich behandelt werden, "nicht selektiv, egal ob viele oder wenig Gäste kommen", sagte er mit Blick auf das für die österreichische Tourismusindustrie wichtige Deutschland.

Italien

Neben der Eigenerklärung auf Italienisch und einer deutschen Ausfüllhilfe, die Lkw-Fahrer in der Corona-Krise bei der Einreise nach Italien mitführen müssen, sollen sie nun noch vorab eine Meldung an die jeweils zuständige italienische Gesundheitsbehörde schicken. Diese Gesundheitsmeldung muss bei jedem grenzüberschreitenden Gütertransport gemacht werden – andernfalls droht ein Bußgeld. Technisch sei das oft per E-Mail möglich und in Südtirol sei ein Online-Formular auszufüllen. Italien ist wegen Corona am Boden, doch aus Genua kommen auch gute Nachrichten: Ein entscheidender Meilenstein beim Wiederaufbau der eingestürzten Autobahnbrücke soll in Kürze erreicht werden. Die Stahlstruktur ist fertig. Jetzt stehen noch Arbeiten auf der Brücke wie Fahrbahnasphaltierung, Beleuchtung, Abwassersysteme und ähnliches an. Es ist noch nicht abschließend geklärt, wann die Brücke wieder geöffnet werden kann. Möglicherweise Ende Juni, aber dazu muß man den Verlauf der Arbeiten auf der Brücke abwarten. Das Viadukt war im August vor zwei Jahren eingestürzt, 43 Menschen kamen ums Leben. Den Neubau hat Stararchitekt Renzo Piano entworfen. Die Bauarbeiten gingen trotz der Corona-Pandemie weiter.


Großbritannien

Nach wochenlanger Zwangspause in der Corona-Krise wollen die Europäische Union und Großbritannien endlich die Klärung ihrer künftigen Handelsbeziehungen vorantreiben. Beide Seiten starteten vor kurzem die erste von drei einwöchigen Verhandlungsrunden per Videokonferenz. Die Zeit drängt, denn zum Jahresende endet die Brexit-Übergangsfrist. Gelingt bis dahin kein Abkommen, droht ein harter Bruch mit heftigen Turbulenzen für die Wirtschaft.

Geldflüsse

Rund 3,4 Billionen Euro haben die Europäische Union und ihre Mitglieder der EU-Kommission zufolge bereits gegen die Corona-Wirtschaftskrise mobilisiert - und mindestens eine weitere Billion wird demnach für den Wiederaufbau gebraucht. Die Zahlen nannten Kommissionsvertreter. Da der Streit über Corona-Bonds völlig festgefahren ist, sucht die Kommission Alternativen, bei denen sie selbst Anleihen ausgibt. Die Aufstellung der bisherigen Wirtschaftshilfen, die eine Kommissionssprecherin präsentierte, umfasst angekündigte nationale Zuschüsse, Liquiditätshilfen, Mittel aus dem laufenden EU-Budget sowie die Anleihekaufprogramme der Europäischen Zentralbank.

Belgien

Ein Armband mit Abstandswarner soll Beschäftigte im Hafen von Antwerpen auf Distanz halten. Die ersten Armbänder werden seit Anfang Mai mit Mitarbeitern an den Schleusenanlagen getestet. Sie sollen dafür sorgen, dass die Beschäftigten bei ihrer Arbeit den empfohlenen Mindestabstand einhalten, um sich nicht mit dem Coronavirus anstecken zu können. Wenn die Technik gut funktioniert, soll sie in größerem Maßstab genutzt werden. Ein weiterer Schritt soll der Einsatz auf den Schleppern der Hafengesellschaft sein, sobald die belgischen Bestimmungen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie dies zulassen.

Schweiz

In der Schweiz haben verschiedene Partner unter Federführung der Mobilitätsbranche (ASTAG, TCS und Fahrlehrerverbände) mit dem Label "COROSOL- der Coronavirus Solidaritätsfonds" eine nicht-kommerzielle Plattform für Personalaustausch lanciert. Diese soll den Ressourcentransfer vor dem Hintergrund der Corona-Krise insbesondere im Transport- und Logistikbereich, aber auch für das Gesundheitswesen vereinfachen. Zudem soll sie dazu beitragen, dass Menschen und Branchen, die aktuell nicht tätig sein können, temporär arbeiten können. Getragen wird das Projekt auch von der Schweizerischen Post, Avenergy Suisse und der Konferenz der Kantonsregierungen.

Frankreich

Die Corona-Krise trifft das französische Transportgewerbe hart. Nach der jüngsten Erhebung des Fachverbandes FNTR haben zurzeit 84 Prozent der Unternehmen dieser Branche den Betrieb deswegen ganz oder teilweise eingestellt. 27 Prozent haben demnach vollständig aufgegeben und 57 Prozent arbeiten zum Teil noch. Dies ist das Ergebnis einer zweiten Umfrage, die der FNTR zwischen dem 6. und 15. April gemacht hat. Nicht darin eingeschlossen sind Unternehmen, die Lebensmittel und Tiernahrung befördern. Die Umsatzeinbußen im Vorjahresvergleich bewegten sich laut der Umfrage im Durchschnitt zwischen 75 Prozent und mehr bei fast einem Viertel der Befragten sowie 48 Prozent für die anderen. Am stärksten von der Corona-Krise betroffen waren nach FNTR-Angaben Transporteure in den Sektoren Automobilindustrie, weil dort 92 Prozent einen vollständigen Betriebsstopp eingelegt haben. Bei Umzügen waren es ebenso 75 Prozent wie bei Möbel- und Baustofftransporten. Deutlich wurde auch, wie sehr sich die aktuelle Lage auf die Betriebskosten niederschlägt: 49 Prozent der befragten Unternehmen verzeichneten zuletzt auf Leerfahrten und 23 Prozent hatten Probleme mit der Logistik.

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