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Museum unter der Erde

Handyweitwurf, Schlammfußball oder Wettbewerbe im Ehefrauen-Tragen: Die Finnen sind Weltmeister im Erfinden kurioser Wettbewerbe. Da verwundert es auch nicht weiter, dass es dort ein Museum gibt, das in einem Atomschutzbunker logiert.


Es ist ein kalter Winternachmittag in Helsinki, an dem ich mich mit dem finnischen Kollegen Juha Pokki verabredet habe. „Komm mit, ich habe etwas arrangiert für dich. Wir fahren in ein Museum, aber in ein Besonderes, in das du nur mit Einladung kommst “ sagt Pokki gleich nach der Begrüßung. Was dann folgt, ist wieder eine dieser finnischen Verrücktheiten, über die der Rest der Welt immer wieder nur verwundert den Kopf schütteln kann. Ein paar Straßenecken weiter biegt der Kollege ab in eine unscheinbare Einfahrt. Wenig später rollen wir durch ein erstes Tor in eine abgeschottete Welt etliche Meter unter der Erdoberfläche. Es ist ein Atomschutzbunker, in welchem das Museum, in dem es nur um Feuerwehrfahrzeuge geht, untergebracht ist. Die Tore und der ganze Bunker sind groß genug auch für Trucks. Unsere Pkw parken wir in einer geräumigen Kaverne, hinter der der eigentliche Bunker erst beginnt. Ein massives halbkreisförmiges Portal sichert den Zugang. Geschätzt mindestens dreißig Zentimeter stark ist dieses Tor, aus Stahlbeton und mit einem dunkelrot lackierten Stahlrahmen. Im Ernstfall sichern sechs manuell feststellbare Scharniere den Schutzraum ab – die Dimensionen der Schließanlage passen zum Erscheinungsbild des gesamten Portals.





Unter der Decke in rund zehn Meter Höhe hängen zahlreiche Rohre und Kabel, die für die Versorgung des Bunkers wichtig sind. Statt Feldbetten oder Regalen mit Notfallrationen, die man in so einem Schutzraum vielleicht vermuten würde, parken hinter einem Maschendrahtgitter – zwei Reihen von Feuerwehrfahrzeugen. Inzwischen ist Christer Blomqvist aufgetaucht und genießt sichtlich die Überraschung des Besuchers. „Das Museum gehört der Stadt Helsinki und wird von der städtischen Feuerwehr betrieben“, erklärt Blomqvist, der in einer Zeit, in der das Telefonieren noch weitgehend eine Angelegenheit der „Post“ war, als Topmanager bei der finnischen Post- und Telefonbehörde arbeitete. Aufgrund einer ernsten Erkrankung musste der Manager den Job an den Nagel hängen und widmete sich fortan seiner Leidenschaft „Feuerwehr“. Was weniger abseitig klingt, wenn man weiß, dass Vater und Großvater von Christer Blomqvist Feuerwehrmänner waren und der Halbwaise nach dem frühen Tod der Mutter zu einem großen Teil auf der Feuerwache, in der sein Vater Dienst tat, aufgewachsen ist. Juha Pokki ergänzt die biographischen Daten später noch mit dem Hinweis, dass Blomqvist in einer Wohnung schätzungsweise 20.000 Modellautos stehen habe. Natürlich nur in Feuerwehrfarben und -ausführung.


Doch zurück in den Atombunker mit seinem Palomuseo, wie die Sammlung in der Landessprache heißt. Der Blickfang gleich am Anfang der linken Reihe ist keineswegs ein besonders altes Modell, sondern ein Magirus Deutz RKV 10 Jupiter 7500 mit der markanten Kugelhaube und dem stilisierten Ulmer Münster im Grill. Die Besonderheit: Der Feuerwehrtruck mit Allradantrieb, der von 1958 bis 1972 Dienst tat, ist zusätzlich zum Löschtank mit einem massiven Kran bestückt. Fahrzeuge und Löschwerkzeug aus Ulm sowie Feuerwehr-Krankentransporter auf Sprinter-Basis sind die einzigen Museumsstücke aus deutscher Produktion. Zudem ist natürlich der finnische Kleinserienhersteller Sisu mit etlichen Exponaten vertreten. Ansonsten dominieren die skandinavischen Produzenten Scania und Volvo sowie amerikanische Marken bzw. Lizenzbauten den Fuhrpark des Museums. Auffällig sind die vielen Fargo-Trucks, offenbar lange Zeit eine bevorzugte Basis für die Fahrzeuge der Hauptstadtfeuerwehr. Fargo war eine Truckmarke von Chrysler, die für außeramerikanische Märkte bestimmten Fahrzeuge wurden in einem Werk in der Nähe von London produziert.


„37 Autos und Lastwagen haben wir hier unten, 25 davon sind fahrbereit“, sagt Blomqvist. Allerdings ist im Moment die gut ausgestattete Werkstatt, die in einer Nische unterbracht ist, verwaist. „Wir hatten eine exzellente Mechanikerin, um die Oldtimer zu restaurieren, danach kam ein Brüderpaar“, berichtet der Museumsführer und erklärt kurz die Gründe, warum die Restauratoren alle nicht mehr da sind. Kleine persönliche Tragödien stecken dahinter, aber solche Geschichten gehören nicht in die Öffentlichkeit.


Jedenfalls gäbe es noch eine Menge zu tun, aber es scheint offenkundig schwer, entsprechende Fachleute zu rekrutieren, die viele Meter unterhalb des pulsierenden Hauptstadtlebens alte Fahrzeuge restaurieren wollen. Zum Beispiel wäre da ein Magirus aus dem Jahr 1925 mit Vollgummireifen – an der Hinterachse sogar in Zwillingsausführung – und Holzleiter, dessen Vorderteil sich in bedauernswertem Zustand befindet. Der Motor ist ausgebaut und lagert, in Kisten verpackt, ein paar Meter neben dem Oldtimer in einem mehrstöckigen Regal. Das knapp einhundert Jahre alte Feuerwehrfahrzeug wäre nach einer Restaurierung sicher eines der Glanzstücke im Palomuseo. Ebenso reparaturbedürftig sind eine alte Handpumpe, die vermutlich von Pferden zum Einsatzort gebracht wurde, sowie einige der Fahrzeuge.

Neben den meisten Museumsstücken steht eine Infotafel mit den wichtigsten Fakten wie Fahrzeugdaten, wann gekauft oder in Dienst gestellt, wie lange genutzt und, soweit bekannt, Besonderheiten. Aber Christer Blomqvist weiß immer noch mehr, zu jedem Exponat kann er eine kleine (manchmal auch eine längere) Geschichte erzählen, er ist ein wandelndes Lexikon in Sachen Feuerwehr. In einer zweiten und ebenso geräumigen Halle – schließlich sollen in so einem Bunker einige Tausend Menschen Platz finden – stehen die Krankentransporter und ein extrem schickes Gefährt: Das „Cheffahrzeug“ aus den Sechziger Jahren, ein Plymouth Valiant 100. Klar – der Straßenkreuzer ist kein Kombi, er ist rot lackiert und hat ein Blaulicht auf dem Dach. Aber irgendwie würde man das Auto gerne fahren und sich dabei an das schräge Pärchen aus dem Kultfilm „Harold and Maude“ erinnern. Und noch eine Film-Reminiszenz lässt sich mit diesem opulenten Einsatzfahrzeug verbinden. Ein Plymouth Valiant spielt eine der Hauptrollen im ersten Spielfilm des berühmten Regisseurs Steven Spielberg – in „Duell“ wird der Pkw von einem unbarmherzigen Peterbilt-Tankzug verfolgt.


Welche Funktion hat der Bunker eigentlich im Gefüge der finnischen Zivilverteidigung? Ist er ausgemustert oder noch soweit intakt, um in einem Ernstfall als Schutzraum genutzt zu werden? Blomqvist lacht und zeigt auf ein kleines Schild neben dem Eingang. Darauf zu sehen: Ein blaues Dreieck auf orangem Grund – das Zeichen für den Zivilschutz: „Wenn du so ein Schild an einem Bunker siehst, gehört der noch ganz offiziell zum Zivilschutzinventar.“ Klar – besser ist es, wenn der unterirdische Betonkeller nicht benötigt wird. Aber falls doch, hätten zumindest die Kinder ihre helle Freude an dem Bunker mit den vielen Feuerwehrautos zum Spielen.




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