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Transportkollaps?

In mehreren Ländern bricht das Frachtwesen zusammen – wie ist es in Österreich?


Daimler Trucks Transport

Die Nachwirkungen der Corona-Krise sind noch lange nicht unter Kontrolle. Im Gegenteil: Sie beginnen erst jetzt, sich richtig bemerkbar zu machen. Wie wir in der vorangegangenen Ausgabe gezeigt haben, fallen in vielen Gegenden der Welt Angebotsverknappungen mit dem Abreißen von Lieferketten zusammen. Wassermangel in der Nahrungsmittelerzeugung und Containerstaus historischen Ausmaßes verschärfen die Mangelsituation zusätzlich, während die drastische Erhöhung der Geldmenge zwangsläufig in die Inflation führt. Laufend kommen neue Meldungen über Knappheiten – für unsere westlichen Gesellschaften ist das neu und ungewohnt.


Wer das beliebte Computerspiel „Die Siedler“ kennt, der weiß, was passiert, wenn in diesem Spiel die Anzahl der Träger zu niedrig ist. Der Umschlag von Waren und Rohstoffen stockt, es geht nichts weiter, das Wirtschaftstreiben erlahmt. Genauso verhält es sich gegenwärtig in Österreich, in der EU und in vielen Wirtschaftsräumen der Welt. Etliche Handelsrouten sind unterbrochen. Aber es kommen nun noch weitere Probleme hinzu, nämlich die an der Basis, in der Transportwirtschaft, rund um den einzelnen Fahrer.



Blick auf den Arbeitsmarkt


In diesem Beitrag geht der Blick deshalb auf diesen besonders sensiblen Bereich, in dem sich die durch Corona mitverursachte Krise deutlich sichtbar macht, nämlich auf den Arbeitsmarkt in der Transportwirtschaft. Auch andere Sparten leiden bereits erheblich unter dem plötzlichen Wegfall von Arbeitskräften – vor allem die Gastronomie. Im Transportwesen ist die Situation noch dramatischer, hauptsächlich aufgrund der wesentlich stärkeren Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft. Wenn Restaurants schließen, ist das sehr bedauerlich, ernähren können wir uns aber auch ohne sie. Wenn das Transportwesen einbricht, ist die Versorgung von allen mit allem in Gefahr: Lebensmittel, Medikamente, Konsumgüter und wichtiges Gerät, Produkte für Wirtschaftsbetriebe und Dinge des täglichen Bedarfs sind dann nicht mehr selbstverständlich.


In Großbritannien hat sich die Situation insbesondere im Lebensmittelhandel verschärft, nachdem im Zuge des Brexit viele Fahrer weggezogen sind. Nun versuchen Supermarktketten wie Co-op, die Lage dadurch in den Griff zu bekommen, dass sie einige ihrer Mitarbeiter zu Fahrern umschulen. Denn wenn nicht genügend Leute in den Führerhäusern sitzen, kommt eben nichts in die Regale. Der Chef der Supermarktkette, Steve Murrells, sagte der Zeitung „The Times“, die Engpässe seien auf einem schlimmeren Niveau, als er es je gesehen habe. Co-op ist nicht die einzige Handelskette, die die neue Situation zu spüren bekommt. Auch bei Iceland macht man sich Sorgen über die Lieferketten, bei Tesco ist es nicht anders. Nach Ansicht eines Branchenverbands fehlen ungefähr 100.000 Fahrer.



Demografische Entwicklung


Den Wegfall derjenigen, die das Land (oder die Branche) verlassen haben, kann man nicht leicht ausgleichen. Aufgrund des EU-Austritts des Landes ist die Arbeitsmigration wieder mit Behördenwegen verbunden – man war es nicht mehr gewöhnt, aber diese Brexit-Folge sollte niemanden überraschen. Ein zweiter Teil des Problems liegt in der demografischen Entwicklung im Frachtverkehr. Nicht wenige Fahrer gehen derzeit in Pension, es kommen nicht genügend neue Kräfte nach. Und diejenigen, die bereitstehen, konnten zu einem guten Teil wegen Corona keine Fahrprüfung ablegen. Im vergangenen Jahr betraf das rund 30.000 Führerscheinanwärter.


Hieran ist gut zu erkennen, wie Großbritannien von einer Mischung verschiedener Ursachen getroffen wird, von denen einige mit der Pandemie zu tun haben, andere nicht. Die Folge ist Woche für Woche in steigender Dramatik in den Supermärkten zu sehen: Hier leeren sich jetzt die Regale, und das zu einer Zeit, als die Regierungen immense Summen an Überbrückungshilfen in die Geldbörsen der Verbraucher gestopft haben. Sofern nicht staatliche Preisbremsen eingezogen werden – in einigen europäischen Ländern ist das nicht ausgeschlossen –, ist ein starker Anstieg der Inflation die unausweichliche Folge. Dass manche Ketten mit Lohnanreizen und Prämien gegensteuern, trägt hingegen nicht zur Inflation bei, weil ja insgesamt deutlich weniger Fahrer beschäftigt sind.


Diese Entwicklung führt auch zu kuriosen Nachrichten, beispielsweise zu der Meldung, dass es in den 1.250 britischen McDonalds-Filialen zeitweise keine Milchshakes und auch keine abgefüllten Getränke mehr gibt. Die Mangelwirtschaft betrifft einstweilen nur einzelne Produktgruppen, noch kann der Verbraucher auf etwas anderes ausweichen. Doch die Zeichen stehen auf weiterer Verknappung, und diese kann schnell durch übertriebene Hamsterkäufe beschleunigt werden. Zu Beginn der Corona-Krise stürzten sich zahllose verunsicherte Konsumenten auf Toilettenpapier.



Wendepunkt in Australien

In Australien hingegen, das von einem besonders rigorosen Corona-Reglement inklusive umzäunten Quarantänelagern (!) heimgesucht wird, sind es die Fahrer selbst, die dem Zusammenbruch des Transportwesens den letzten Schlag verpassen, und diese Entwicklung sollte die heimische Frachtwirtschaft wirklich äußerst aufmerksam verfolgen. Nach dem Beispiel einer mehrere Jahrzehnte zurückliegenden erfolgreichen Trucker-Blockade, mit der ungerechte Straßensteuern bekämpft wurden, legt eine rasch wachsende Zahl von Lkw-Fahrern in etlichen Landesteilen den Gütertransport lahm – mit dem erklärten Ziel, die autoritär gewordene Regierung wieder unter die Kontrolle der Bürger zu bekommen. Die Putschisten können auf einen starken Rückhalt in der Bevölkerung und auch bei ihrer Gewerkschaft verweisen. In Australien und Neuseeland wurden bei vergleichsweise sehr mildem Pandemieverlauf extrem harte Maßnahmen getroffen, die zu schweren Ausschreitungen und rigorosen Polizei- und Militäreinsätzen geführt haben. Sydney wurde zeitweise abgeriegelt, auf die Bevölkerung wird massiver Impfzwang ausgeübt.


Auch so kann Corona – in diesem Fall indirekt – zum Zusammenfall des Transportwesens führen. Man sollte die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Vorgehensweise der australischen Trucker in anderen Ländern ebenfalls zum Einsatz kommen wird. Auch wenn man diesem Protest selbst nichts abgewinnen kann, so ist man von ihm doch unmittelbar betroffen. Im Unterschied zu den eher wirkungslosen Bürgerprotesten treffen solche Streiks den Nerv, sie sind also hocheffektiv und werden aus diesem Grund nicht auf Australien beschränkt bleiben.



Anders in Europa

Während es in Australien genügend Fahrer gibt, um landesweite Proteste durchzuführen, versucht man in Europa, die Mitarbeiter mit finanziellen Anreizen bei der Stange zu halten. Tesco schenkt jedem neuen Fahrer bis Ende September einen Bonus von 1.000 Pfund, Aldi erhöht – was selten vorkommt – die Löhne. Damit soll auch verhindert werden, dass die wenigen noch verfügbaren Fahrer abgeworben werden. Der Personalstand wurde aber auch durch Quarantänepflichten eingeschränkt: Wer Kontakt hatte, musste sich selbst isolieren und konnte die Tour natürlich nicht mehr fahren.


In Italien mangelt es an 17.000 Lkw-Fahrern. Zur Behebung dieses Problems wird dort jetzt gefordert, mehr Ausländer an die Lenkräder zu lassen. Dies würde voraussetzen, dass die Qualität der Fahrerausbildung in den Herkunftsländern mit der in Italien vergleichbar ist. Der dortige Frächterverband ANITA brachte sogar eine feste Quote an Einwanderern ins Spiel, die für das Transportwesen reserviert sein sollen. Könnte das funktionieren? Der nonchalante Fahrstil italienischer Autofahrer ist weithin bekannt; problematischer könnte es mit solchen Substitutionsbestrebungen in Ländern mit eher geordneter Kraftfahrkultur werden. Denn auch in Österreich macht sich der Fahrermangel längst bemerkbar. Hier sind schon für weniger herausfordernde Tätigkeiten kaum noch Leute zu finden, beispielsweise lassen sich offene Stellen, bei denen es um innerbetriebliche Transporte geht und für die ein Führerschein der Klasse C benötigt wird, fast überhaupt nicht besetzen.



Fahrerausbildung reformieren

Aus der Wirtschaftskammer kam bereits der Vorschlag, die Fahrerausbildung zu reformieren und etwas Ähnliches wie die L17-Ausbildung beim Autoführerschein einzurichten. Auch Personen ohne Führerschein sollen bereits an die Firmen vermittelt werden. Wie sie dann zu ihrer Fahrerausbildung kommen, ist eine Frage der Förderung. Im September liefen bereits Förderprogramme des Arbeitsmarktservice (AMS) an, in denen Inhaber des C-Führerscheins zu Berufsfahrern (C95) weitergebildet werden.


Ebenso werden Bewerber gefördert, die Lkw-Fahrer werden möchten, aber noch keinen C-Führerschein haben. Das Förderprogramm ist zunächst auf 100 C-Führerscheine begrenzt, eine der Voraussetzungen für die Förderung ist die Einstellungszusage. Arbeitsuchende werden vom AMS zuerst vermittelt und danach weiterqualifiziert – ein interessantes Modell, mit dem man den Berufseinstieg junger Leute erleichtern will. Einerseits spart sich der Staat auf diese Weise das Arbeitslosengeld, das sicher höher ausfallen würde. Andererseits gewöhnt er sich auf diese Weise daran, Bewerber in den Arbeitsmarkt hineinzukaufen, und zwar mit Steuergeldern und ohne Garantie auf eine wirklich langfristige Bindung an das Unternehmen.


Neben dem C-Führerschein und der Grundqualifikation C95 wird auch noch ein dreiwöchiges Arbeitstraining „in sicherer Umgebung“ finanziert. Wer so umfassend fördert, sollte sich auch einmal die Frage stellen, was die Menschen eigentlich davon abhält, initiativ und auf eigenes Risiko in diesen Beruf zu gehen.



Falsche Anreize?

Es ist ja nicht so, dass der Fahrermangel erst seit der Corona-Krise akut wäre. Jetzt gerät leicht aus dem Blick, dass die Wirtschaftskammer sich schon Ende 2019 für eine Behebung des Fahrermangels eingesetzt hat. Seinerzeit hieß es, wir steuerten auf ein Problem bei der Nahversorgung zu. Als einige Monate später die erste größere Corona-Notlage spürbar wurde, lief die Nahversorgung durchaus zufriedenstellend – und Lkw-Fahrer wurden zusammen mit dem Pflegepersonal und den Mitarbeitern in den Supermärkten als Alltagshelden gefeiert. Hieran knüpft sich durchaus ein gewisser Imagegewinn in Bezug auf die Wichtigkeit der Arbeit. Genutzt wurde er nicht: Krankenschwestern erhielten zwar Balkonapplaus, wurden jedoch mit Mini-Prämien abgespeist, um die sie teilweise auch noch kämpfen mussten.


Wer handfest in der Versorgung mithalf – im Supermarkt, in der Zustellung und nicht zuletzt im Frachtverkehr – bekam als Angestellter nichts aus dem Härtefallfonds und aus anderen Töpfen nur dann etwas, wenn das Familieneinkommen bereits nahe der Armutsgrenze lag. Ansonsten gab es Kurzarbeit! Theaterleute, Musiker und andere Künstler formulierten ihre Ansprüche lautstark und erhielten sogar Ausfallgeld für stornierte Auftritte, brachten aber in der Krise kaum mehr als ein paar YouTube-Filmchen zustande. So schafft man keine Anreize, einen wirklich systemrelevanten Beruf zu ergreifen.


Aufgrund von Fluktuation und Pensionierungen brauchen wir jedes Jahr etwa 1.000 neue Berufskraftfahrer allein für den Bedarf des inländischen Handels – aufgrund von Corona liegt der echte Bedarf noch etwas höher. Und die wird man mit der Förderung der falschen Berufsgruppen nicht bekommen, so sieht es aus. Da etwa ein Drittel der Menschen, die in der Güterbeförderung tätig sind, bereits deutlich über 50 sind, ist eine Pensionierungswelle absehbar, die etwa ab 2030 der heimischen Transportwirtschaft erhebliche Schwierigkeiten bereiten wird. Schon jetzt fehlen in zahlreichen Firmen Fahrer. Vor-Corona-Durchschnitt: 3,6 Mitarbeiter pro Unternehmen! Noch schlimmer sieht es im Bereich der Entsorgung und des Ressourcenmanagements aus (Durchschnitt 4,2). Die Politik verschläft das gerade, und vor diesem Hintergrund erscheinen die bittstellenden Förderprogramme des AMS eher wie Augenwischerei und Herumgekratze an den Symptomen.



Transportkrise schlägt auf Wirtschaft durch

Die Folgen dieser Entwicklung sind schon jetzt zu beobachten. Wie die „Wirtschaftswoche“ meldet, liegt der Anteil der Handwerksbetriebe, für die in den zurückliegenden vier Wochen Rohstoffe, Materialien oder Vorprodukte nicht oder nur eingeschränkt verfügbar waren, bei fast 75 %. Im Mai lag dieser Anteil noch bei 61 %. Besonders knapp sind derzeit Metalle, Kunststoffe und Elektronikkomponenten, wogegen sich die Lage bei Holz und Dämmstoffen entspannt. Viele Unternehmen müssen deshalb Aufträge verschieben oder stornieren. Das sind zwar Zahlen aus der Bundesrepublik, aber die Tendenz lässt sich ohne weiteres auf Österreich übertragen.


Die dramatische Entwicklung wird inzwischen auch dafür instrumentalisiert, den Impfdruck auf die Mitarbeiter zu erhöhen: ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer behauptete gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, die Auftraggeber würden zunehmend nur geimpfte Handwerker in ihren Räumlichkeiten arbeiten lassen wollen, ohne dass er dafür valide Zahlen vorlegen konnte. Angeblich muss deswegen „fast jeder zehnte“ Betrieb, der von solchen Begehrlichkeiten betroffen ist, Aufträge stornieren oder verschieben – eine allenfalls marginale Zahl, die kaum solche übergriffigen Auskunftswünsche rechtfertigt. Eine vernünftige Kommunikation, strikte Hygiene und regelmäßige Tests könnten solche Sorgen schnell zerstreuen. Das gilt übrigens ganz genauso für die Transportbranche – ungeimpfte Fahrer sind nicht per se als gesundheitsgefährdend zu diffamieren und schon gar nicht deswegen zur Impfung zu nötigen, auf der anderen Seite sollten sie ihre Ungefährlichkeit gewissenhaft sicherstellen: mit Tests, richtiger Hygiene und einer richtig sitzenden Maske im Kundenverkehr.



Vielleicht alles Absicht?

Bleibt noch die Frage, ob die Verringerung des Lkw-Verkehrs nicht auch politisch gewünscht ist. Die Steuer auf Dieselkraftstoff wird gerade erhöht, die Grünen sehen im Lkw-Verkehr eines ihrer liebsten Feindbilder, zahlreiche Reglementierungen und Einschränkungen haben den Frachtverkehr mit immer neuen Beschwernissen beladen. Die theoretische Möglichkeit des autonomen Fahrens lassen manchen Berufseinsteiger an der Zukunftssicherheit dieser Tätigkeit zweifeln. Hinzu kommt die Verteufelung des Verbrennungsmotors.


Die Fakten sehen anders aus: Allein für die Elektrifizierung der Lkw-Transportwirtschaft bräuchte man in Deutschland 18 neue Kernkraftwerke oder 55.000 Windkraftanlagen, von den benötigten Stromtrassen und Ladestationen ganz abgesehen. Das autonome Fahren ist schon bei den Pkw ein veritabler Flop, belegt durch zahlreiche Unfälle. Im Schwerverkehr wird sich das in den nächsten Jahrzehnten nicht durchsetzen können. Eine weitere Verfestigung der Klima-Ideologie bringt möglicherweise kleine Symbolerfolge, wird aber mit erheblichen Einschränkungen im Warentransport erkauft – und das zu einer Zeit, wo man schlichtweg alles vom Sofa aus im Internet bestellt. Wenn dann irgendwann nichts mehr kommt, wird auch den jungen veganen Klimarettern dämmern, dass ihnen das Hemd näher ist als der Rock.

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